60 Jahre Studium der Oekotrophologie

60 Jahre Studium der Oekotrophologie

Das Studium der Oekotrophologie wurde im Wintersemester 1962/1963 zuerst an der Justus-Liebig-Universität (JLU) in Gießen eingerichtet. Anlässlich des 60-jährigen Bestehens wurde Frau Prof.in i. R. Dr. Dr. Barbara Fegebank am 12. Januar vom VDOE interviewt. Sie ist eine der ersten Studierenden in diesem Studiengang gewesen. Zudem war sie vor 50 Jahren auch Gründungsmitglied des VDOE (damals noch „Verband der Diplom-Oekotrophologen“). Das Interview beschreibt nicht nur die Anfänge des Studiums und dessen Entwicklungen bis heute, sondern gibt Einblicke in den Werdegang einer mutigen Frau, die sich von damaligen „Gepflogenheiten“ nicht einschüchtern ließ und sich den Herausforderungen in einer neuen Disziplin gestellt hat. Das vollständige Interview können Sie hier nachlesen. Der nachfolgende Text setzt sich aus den Kernaussagen des Interviews (direkte Zitate von Prof.in i. R. Dr. Dr. Barbara Fegebank sind im Folgenden kursiv dargestellt) sowie theoretischen Abhandlungen zum Studium der Oekotrophologie zusammen. So soll er einen kleinen Einblick in die Anfänge und Hintergründe, die Entwicklung und das Potenzial des Studiums geben, welches die Basis heutiger spezialisierter Studiengänge ist.

Hintergründe und Beginn des Diplom-Studiengangs in Gießen

Die Begründung für das Studium war für die Studierenden damals überraschend und ist auch heute sicherlich vielen nicht bekannt. Die konkrete Etablierung des Studienganges wurde von der Landesregierung Hessen veranlasst. Ursprünglich wurde dieser eingerichtet, da für das höhere Lehramt ein wissenschaftliches Studium vorausgesetzt wurde. Hier galt es auch bei Berufs-, Berufsfach- und Fachhochschulen in hauswirtschaftlicher Richtung die wissenschaftliche Grundlage für eine hauswirtschaftliche Bildung und Ausbildung zu schaffen.

 

Das Studium war von Anfang an ein 8-semestriger Diplomstudiengang. Darauf begründet sich unter anderem die Überraschung zu den Hintergründen, da man mit diesem Abschluss nicht die Voraussetzungen für die Lehre erfüllte. Um ein Referendariat im berufsbildenden Bereich aufzunehmen, waren weitere Studien in Erziehungswissenschaften und Pädagogik zu absolvieren und ein Staatsexamen notwendig.

 

1976 in Gießen: Prof.in Dr. Rosemarie v. Schweitzer, Prof.in Dr. Helga Schmucker, Prof.in Dr. Dr. Barbara Fegebank (v. l. n. r.), © privat

Frau Prof. Dr. Helga Schmucker, die erste Lehrstuhlinhaberin der „Wirtschafts- und Arbeitslehre des Haushalts“ und habilitierte Ökonomin, beschreibt den Objektbereich des Studiums als die Gesamtheit hauswirtschaftlicher Aspekte im Kontext der Lebenssphäre von Familien und Haushalten. Das „zunehmende Interesse an Fragen des Haushalts und des Verbrauchs in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft“ entstand unter anderem aus der Notwendigkeit der „Anpassung des Menschen (der Familie) an die sich aus den raschen und tiefgreifenden Strukturwandlungen ergebenden neuen Lebensanforderungen und Daseinsbedingungen […]“ (vgl. Schmucker 1967).

 

Ziel des Studiums war und ist es nicht, praktische Hausfrauen auszubilden, „sondern auf wissenschaftlichem Niveau den äußerst komplexen Vorgängen und Begründungen für das haushälterische Handeln in allen seinen technischen, ökonomischen, sozialen und ethischen Verästelungen systematisch nachzugehen“ (vgl. Schmucker 1967). So sollen die Erkenntnisse für alle Bereiche des technischen, ökonomischen und sozialen Lebens nutzbar gemacht werden.

Die Kopplung von Haushaltswissenschaft und Ernährungswissenschaft war pragmatisch begründet. Das ernährungswissenschaftliche Studium gab es schon seit 1957 an der medizinischen Fakultät. Da eine Promotion für Ernährungswissenschaftler*innen dort nicht möglich war – sie durften keinen „Dr. med.“ erhalten – wurde der Studiengang an der landwirtschaftlichen Fakultät angesiedelt. In Bonn gab es zunächst ein „Trophologie-Studium“, also ein rein ernährungswissenschaftliches Studium. Nach den ersten Jahren zeichnete sich jedoch ab, dass die Konkurrenz von Trophologen mit Medizinern, Biochemikern, Chemikern usw. so groß war, dass sie auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen hatten. Gelöst wurde dieses Dilemma durch die Ergänzung der Haushaltswissenschaft. „Durch die Kombination von Naturwissenschaftlichem und Geisteswissenschaftlichem vor allem Wirtschaftswissenschaftlichem eröffneten sich Türen für die Absolventen*innen.“

 

Prof.in Dr. Dr. Barbara Fegebank bei ihrer Promotion 1974, © privat

Die Bezeichnung „Oekotrophologie“ wurde als akademische Namenserfindung der JLU Gießen im Jahr 1965 eingeführt. Die Oekotrophologie ist keine eigenständige Wissenschaft, sondern ein Studium, welches die Ernährungswissenschaft und die Haushaltswissenschaft kombiniert. Dabei war Ernährung „[…] immer ein Bestandteil der Home Economics (bereits seit dem 19. Jhdt. in Amerika) also auch der Hauswirtschaft, weil Ernährung eine ganz wesentliche Funktion des Haushalts ist.“

 

Auch laut Professorin Schmucker sollte das breit angelegte Oekotrophologie-Studium als Einheit angesehen und nach zwei Schwerpunkten ausgerichtet werden, mit einer vertieften Ausbildung in beiden Fachrichtungen.

 

Fortwährend beschäftigte sich Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank mit der Frage „Was ist eigentlich Oekotrophologie?“. Der Beantwortung dieser widmete sie sich in ihrer Habilitationsschrift „Der private Haushalt in systemtheoretisch-ökologischer Betrachtung“ (1994). Doch so eine Frage ist laut ihrer Aussage auch in einem Buch nicht zu beantworten. Wichtig war ihr dabei aber, „die Haushaltswissenschaft als eine wissenschaftliche Disziplin aus[zu]weisen und nicht nur als Lehrgebiet.“

Veränderungen im Oekotrophologie-Studium

Die Bologna-Reform brachte starke Veränderungen im ganzen Bildungssystem mit sich. Die dadurch hervorgerufene Dynamik sorgte für eine rasante Zunahme der gelisteten Studiengänge. Während Anfang des Jahrtausends noch ca. 1.000 Studiengänge gelistet waren, gab es 2022 mehr als 20.000 Studiengänge (vgl. Winter u.a. 2012).

 

Die Veränderungen durch die Bologna-Reform und die Kulturhoheit der Länder waren problematisch „insbesondere für ein Fach oder einen Studiengang wie Oekotrophologie, der immer auf der Suche nach seinem Profil war und ist.“

 

Eine große Schwierigkeit stellten die verschiedenen länderspezifischen oder universitäts-bezogenen Regelungen dar. Beispielsweise wurde der Studiengang nach der Bologna-Reform nicht einheitlich unterteilt, sodass der Bachelor entweder mit sechs oder acht Semestern und der Master mit zwei oder vier Semestern angeboten wurde. Auch die Anerkennung musste in verschiedenen Bundesländern individuell erfragt werden. Somit war es schwierig einen Überblick über die verschiedenen Studiengänge der Oekotrophologie zu behalten.

 

Heutzutage ist Oekotrophologie im Bildungsbereich kaum noch existent, insbesondere der Begriff taucht kaum noch auf. Verwendet werden heutzutage Begriffe wie Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften oder Arbeitslehre im S1-Bereich. Auch die klassische Haushaltslehre wurde von Begriffen wie Food Management oder Lehramt Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaften abgelöst. Die Auseinandersetzung mit Haushalt, Familie und Ernährung ist so alt wie die Menschheit. Mittlerweile durchzieht sie das gesamte Bildungssystem von der Grundschule bis zur Universität und zahlreiche Berufe, insbesondere die des Feldes „Ernährung und Hauswirtschaft“, sind mit ihr befasst. So können sich doch sehr viele Menschen als Oekotropholog*in verstehen!

Potenzial des Studiums

Stärken hat die Oekotrophologie für Frau Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank „gar nicht mehr [oder] vielleicht [hat sie die] auch nie gehabt. Sie hat sich immer darum bemüht.“ Das Potential hat sie „immer im Zusammenhang der verschiedenen Fächer […] mit dem Bezug zum Alltagsleben [gesehen]“. Allerdings bedauert sie, dass „dieses Potenzial zweier Wissenschaften, die eigentlich wissenschaftlich-thematisch nicht zusammengehören, nämlich eine Geistes-/Erfahrungswissenschaft und eine Naturwissenschaft, nicht genutzt wurde. Sie kamen nicht im Sinne der Intensionen der Kybernetik zusammen, haben nicht interdisziplinär/multiperspektivisch, sondern nur additiv agiert.“

 

Die theoretische Betrachtung des Alltagslebens ist schwierig und „nur auf einem sehr hohen theoretischen Niveau fest[zu]halten“. Durch die Zusammenhänge der verschiedenen Aspekte – physikalisch oder ökonomisch – ist dies sehr komplex. Denn, „wenn man den Einzelnen in seinem Handeln nimmt, dann handelt er nicht wirtschaftlich, weil er sich einen Einkaufszettel macht oder ernährungsmäßig, weil er isst. Das hängt zusammen.“ Wenn man praktische Untersuchungen macht, muss man wieder ans Detail ran gehen, darf dabei aber nicht vergessen, dass dies „ein Teil eines Ganzen ist“. Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank vergleicht dies mit einem Puzzle: Das einzelne Puzzlestück steht für sich, „aber es gehört irgendwo rein“.

 

Man kann sagen und man kann das positiv oder negativ sehen, muss man aber nicht unbedingt bewerten: Oekotrophologie hat sich immer ausgezeichnet durch eine Vielfalt. Das Problem ist, sich in dieser Vielfalt nicht zu verzetteln.“ Dafür ist es notwendig multi- und transdisziplinär zu denken, „dann kommen wir zu etwas Gemeinsamen“. Die Suche der Oekotrophologie nach ihrem Profil oder ihrer identitätsbildenden Programmatik ist noch nicht abgeschlossen. Sie bedient sich an verschiedenen Konzepten, Methoden und Teiltheorien, „widmet sich aber eben eher speziell Problemen und Aspekten als dem gesamten haushälterischen Handlungssystem.“

 

Hier sieht Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank die Relevanz der Verbände, wie den VDOE, die dgh, den HaBiFo sowie den Internationalen Verband für Hauswirtschaft. Durch die politische Arbeit, aber auch den Austausch auf Tagungen und Kongressen kommt es zum Austausch, wo man feststellen kann: „Wir haben hier ein Potenzial und wir können daraus noch was machen.“

Vielfalt nutzen

„Ein Studium soll nicht nur Spaß machen, man soll sich auch Ziele setzen.“ Diese sollten unbefangen und unabhängig von den Lehrenden gesetzt werden. Dabei sollte man versuchen, innovativ zu sein, Neues zu entdecken und Vorschläge zu machen. Das erfordert Mut, vor allem als Frau – auch heute noch.

 

Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank, Jubiläum 2011, © privat

Wichtig ist es laut Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank, in einer Community zu sein, um mitzukriegen, was die anderen machen oder wo die Probleme liegen, um mitzumischen und sich einzubringen. Auch in Bezug auf die Spezialisierung oder Zerteilung des ursprünglichen Studiengangs ist es sinnvoll, dass man zusammenkommt, zusammen arbeitet, diskutiert, Ideen entwickelt. Dadurch wird vielleicht auch wieder die Erkenntnis der Zusammenhänge gegeben.

 

In egal welcher Spezialisierung oder in welchem Beruf man ist, sollte man „[…] zumindest über den Background Bescheid wissen. Und sehen, wo gehören wir zusammen? Wo sind unsere Berührungspunkte? Dann kann ich sagen: dass ich mich im weitesten Sinne auch als Oekotrophologe bzw. Oekotrophologin verstehe.“ (Prof.in i. R. Dr. Dr. Fegebank) Um das zu erkennen und zu diskutieren, bieten die verschiedenen Verbände, auch der VDOE, im Rahmen von Tagungen, Kongressen, Arbeitsgruppen u. v. m. Gelegenheiten.

Was macht für Sie die Stärke der Oecotrophologie aus? Schreiben Sie uns in die Kommentare.

Literaturhinweise:

  • Cremer, Hans-Dietrich (o.J.): „1957 – 1967: Zehn Jahre Institut für Ernährungswissenschaft“. Bro-schüre. Druck: von Münchowsche Universitätsdruckerei, Gießen
  • Fegebank, Barbara 1994: Der private Haushalt in systemtheoretisch-ökologischer Betrachtung. Frankfurt/M.: Lang Verlag
  • Fegebank, Barbara 2001: Ernährung in Systemzusammenhängen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren
  • Fegebank, Barbara 2016: Vielfalt (er)leben – Vielfalt gestalten – Corporate Identity der haushälterischen Bildung und Haushaltswissenschaft. In: Haushalt in Bildung & Forschung, 5. Jg., H. 2, S. 47-58
  • Schmucker, Helga (1967): Das Studium der Haushalts- und Ernährungswissenschaften an den deutschen Hochschulen. In: Berichte über Landwirtschaft, Bd. 45, H. 4, S. 687-700
  • v. Schweitzer, Rosemarie (2012): Erinnerungen an die ersten 40 Jahre der Ökotrophologie. Gießen: VVB Laufersweiler Verlag
8
1