Geschlechtsspezifische Forschung: Wie Sexualhormone den (Zucker)Stoffwechsel beeinflussen

Geschlechtsspezifische Forschung:  Wie Sexualhormone den (Zucker)Stoffwechsel beeinflussen

Wechseljahre und Stoffwechsel: Wenn der natürliche Schutz vor Krankheiten schwindet

Frauen sind seltener von Stoffwechselerkrankungen wie Typ 2 Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen als Männer [1]. Nach den hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren scheint dieser Schutz jedoch zu schwinden und das Risiko für Typ 2 Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen steigt deutlich an [2].

 

Veränderungen in verschiedenen Geweben tragen zu dieser Beobachtung bei. Durch den hormonellen Abfall in der Menopause verlagert sich das Körperfett zunehmend in den Bauchraum, was zu einer Zunahme des unvorteilhaften viszeralen Fetts führt. Der Fettanteil in der Leber steigt und die Insulinempfindlichkeit verschlechtert sich, wodurch Störungen im Zuckerstoffwechsel wahrscheinlicher werden. Im Umkehrschluss hat sich gezeigt, dass sich diese Entwicklungen durch eine Hormonersatztherapie (möglicherweise) zumindest zum Teil wieder rückgängig machen ließen, mit positiven Auswirkungen für den Zuckerstoffwechsel [3]. Dieses Beispiel verdeutlicht eindrucksvoll, wie eng Sexualhormone mit dem Stoffwechsel in Verbindung stehen.

Sexualhormone und Stoffwechsel: Die Rolle des Gehirns als zentrale Schaltstelle

Doch an welchen Stellen greifen Sexualhormone nun in den Stoffwechsel ein? Interessanterweise finden sich Rezeptoren für Sexualhormone nicht nur auf den klassischen Reproduktionsorganen, sondern auch in verschiedenen Regionen des Gehirns. Besonders bemerkenswert ist, dass dazu auch der Hypothalamus gehört, der als Steuerungszentrum für den Energiestoffwechsel des gesamten Körpers bekannt ist. Zudem sind Hirnareale, die an Belohnungsprozessen beteiligt sind und unser Essverhalten maßgeblich beeinflussen, mit diesen Rezeptoren ausgestattet. Diese Hirnregionen bilden eine bemerkenswerte Schnittstelle zwischen Hormonen und Stoffwechsel: Sie reagieren sowohl auf Sexualhormone als auch auf das Stoffwechselhormon Insulin.

Insulinwirkung im Gehirn und Auswirkungen auf den Stoffwechsel bei Männern

Insulin, das nach der Nahrungsaufnahme von der Bauchspeicheldrüse ins Blut abgegeben wird, wirkt nicht nur an klassischen Stoffwechselorganen (z. B. Leber, Muskel, Fettgewebe), um Zucker in die Zellen zu transportieren und den Blutzuckerspiegel abzusenken. Es gelangt auch ins Gehirn und aktiviert dort bestimmte Hirnregionen. Diese Aktivierung sendet wiederum Signale an den restlichen Körper, die den Stoffwechsel nach dem Essen steuern und das Essverhalten regulieren. So beeinflusst die Insulinwirkung im Gehirn entscheidend, wie unser Körper die aufgenommene Energie verarbeitet, wann wir die Nahrungsaufnahme beenden und welche Nahrungsmittel wir bevorzugen. Insulinwirkung im Gehirn verbessert sowohl wie empfindlich die Zellen auf Insulin reagieren (Insulinsensitivität), aber auch wie viel Insulin nach dem Essen von der Bauchspeicheldrüse abgegeben wird (Insulinsekretion) – beides hilft wiederum den Blutzuckerspiegel zu senken [4].

 

Diese positiven Effekte wurden zunächst in Studien an schlanken Männern beobachtet. Bei Männern mit Übergewicht zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Das Gehirn reagiert nicht mehr adäquat auf die Wirkung von Insulin. Das Gehirn hat also eine Insulinresistenz entwickelt. Dieses Phänomen war bislang von Stoffwechselorganen bei Menschen mit Typ 2 Diabetes bekannt. Nun wurde klar, dass Sie auch im Gehirn auftreten kann, mit negativen Konsequenzen für die Gesundheit.

Zyklusabhängige Schwankungen: Wie Insulin im weiblichen Gehirn den Stoffwechsel beeinflusst

Ob die Insulinwirkung im Gehirn bei Frauen dieselben Auswirkungen auf den Stoffwechsel hat wie bei Männern, war bislang unbekannt. Deshalb haben wir diese Frage wissenschaftlich untersucht. In der Vergangenheit wurden Studien in der Stoffwechselforschung vorwiegend an Männern durchgeführt, da Untersuchungen an Frauen aufgrund des Menstruationszyklus aufwendiger sind und ein zeit- und kostenintensiveres Studiendesign erfordern. Zudem ist der Einfluss von Sexualhormonen auf andere Körperfunktionen bislang nicht ausreichend verstanden, so dass ein möglicher Einfluss auf die Ergebnisse die Dateninterpretation erschwert. Daher war es uns ein Anliegen, diese Zusammenhänge zwischen Hormonen und Stoffwechsel bei Frauen aufzuklären und die Analyse des Menstruationszyklus in unser Studiendesign zu integrieren. Wir untersuchten gesunde, junge Frauen, die keine hormonellen Verhütungsmittel verwendeten, sowohl in der ersten Zyklushälfte, der Follikelphase vor dem Eisprung, als auch in der zweiten Zyklushälfte, der Lutealphase nach dem Eisprung.

 

Um die Insulinwirkung im Gehirn zu testen, erhielten die Frauen Insulin über ein Nasenspray, gefolgt von Gehirnscans oder umfassenden Stoffwechseluntersuchungen. Die Ergebnisse zeigten, dass Insulin im Gehirn – ähnlich wie bei Männern – auch bei Frauen den Stoffwechsel im gesamten Körper verbessern und die Insulinempfindlichkeit der Organe steigern kann. Überraschenderweise trat dieser Effekt jedoch nur in der Follikelphase auf, während er in der Lutealphase ausblieb [5].

 

Auch die Gehirnscans bestätigten dieses Bild: In der zweiten Zyklushälfte reagierte das Gehirn, insbesondere der Hypothalamus, nur noch eingeschränkt auf Insulin. Es scheint, dass das Gehirn in der Lutealphase natürlicherweise eine leichte Insulinresistenz entwickelt, die nicht nur das Gehirn selbst, sondern auch die Steuerung des Zuckerstoffwechsels im gesamten Körper beeinflusst.

 

Der Menstruationszyklus und Sexualhormone haben also einen erheblichen Einfluss darauf, wie Insulin im Gehirn wirkt. Doch verändern sich dann auch die Blutzuckerspiegel über den Zyklus hinweg?

Wie der Menstruationszyklus den Blutzucker beeinflusst: Forschungsergebnisse und Therapieimpulse

Eine kürzlich veröffentlichte Studie von einem Forschungsteam aus Kanada zeigt nun, dass sich auch die Blutzuckerspiegel bei jungen gesunden Frauen über den Menstruationszyklus hinweg verändern: Kurz vor dem Eisprung sind sie am niedrigsten, wobei sie in der zweiten Zyklusphase ihren Höhepunkt erreichen [6]. Diese Beobachtung könnte durch unsere eigene Entdeckung, dass das Gehirn in der zweiten Zyklusphase weniger empfindlich auf Insulin reagiert, erklärt werden. Denn dadurch wird der Stoffwechsel im restlichen Körper beeinflusst, was dazu beitragen könnte, dass auch die Blutzuckerspiegel in der zweiten Zyklushälfte höher sind [7]. Dieser vermutete Zusammenhang muss in weiteren Studien ausführlicher untersucht werden.

 

In der klinischen Praxis berichten auch Frauen mit Typ 1 Diabetes, dass sie in der zweiten Zyklusphase mehr Insulin spritzen müssen, um ihre Blutzuckerspiegel stabil zu halten [8]. Zudem zeigen kontinuierliche Blutzuckermessungen bei Typ 1 Diabetes, dass die Zeit im Blutzuckerzielbereich über die Phasen des Menstruationszyklus hinweg abfällt und am Ende deutlich niedriger ist als am Anfang des Zyklus [9]. Allerdings ist die Forschung erstaunlicherweise hier erst am Anfang. Doch schon jetzt wird deutlich, dass die stärkere Einbeziehung des Menstruationszyklus und des hormonellen Status bei der Diabetestherapie helfen könnte, die Blutzuckerkontrolle weiter zu verbessern. Eine geschlechtsspezifische und personalisierte Herangehensweise könnte so einen wichtigen Beitrag zur Optimierung der Diabetesversorgung leisten.

Wie der Menstruationszyklus unseren Appetit beeinflusst: Ein Blick ins Gehirn

Es ist schon länger bekannt, dass der Menstruationszyklus unser Essverhalten beeinflusst, doch die genauen Mechanismen dahinter sind noch unklar. Entscheidend dafür, was und wie viel wir essen, ist unser Gehirn. In unserer aktuellen Studie haben wir uns daher zudem angeschaut, wie das Gehirn in den unterschiedlichen Phasen des Menstruationszyklus auf visuelle Nahrungsreize in Form von Essensbildern reagiert. Hier zeigte sich, dass Hirnregionen, die am Essverhalten beteiligt sind, in der zweiten Zyklushälfte intensiver auf Essensreize reagieren. Insbesondere süße Speisen stimulieren das Gehirn in dieser Phase des Menstruationszyklus stärker als salzige. Dies deutet darauf hin, dass Sexualhormone eine Rolle dabei spielen könnten, warum wir in der zweiten Zyklushälfte oft mehr Heißhunger haben und möglicherweise mehr essen, was wiederum Einfluss auf unsere Blutzuckerspiegel haben würde.

Perspektiven für die zukünftige Forschung

Die künftige Forschung wird wichtige neue Erkenntnisse liefern, etwa zur Frage, wie der Menstruationszyklus die Insulinempfindlichkeit des Gehirns bei Frauen mit Übergewicht, Adipositas und Typ 2 Diabetes beeinflusst. Es bleibt abzuwarten, welche langfristigen Effekte dies auf den gesamten Stoffwechsel haben könnte. Eine weitere offene Frage, die es zu beantworten gilt, ist die Rolle hormoneller Verhütungsmittel: Wie wirken sich diese auf die Insulinempfindlichkeit des Gehirns aus?


Abschließend lässt sich sagen, dass geschlechtsspezifische Forschung und Medizin unerlässlich sind, um Stoffwechselerkrankungen besser zu verstehen und gezielt zu behandeln. Wenn wir Geschlechtsunterschiede berücksichtigen, können wir maßgeschneiderte Therapien entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen und biologischen Unterschieden von Männern und Frauen gerecht werden.

© Universitätsklinikum Ulm

Seit 2022 wird in der Sektion für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Heni intensiv in den Bereichen Diabetes und Adipositas sowie deren Komplikationen geforscht. Besonderes Augenmerk liegt auf dem komplexen Zusammenspiel von Gehirn und Stoffwechselorganen sowie auf geschlechtsspezifischen Mechanismen.

 

Neben der innovativen Forschung bietet die Abteilung im von der Deutschen Diabetesgesellschaft zertifizierten „Diabeteszentrum DDG“ eine umfassende Versorgung von Diabetespatient*innen. Zudem deckt sie das gesamte Spektrum seltener Stoffwechselstörungen und endokrinologischer Erkrankungen auf höchstem universitärem Niveau ab.

Literatur und Quellen

1. Kautzky-Willer, A., Harreiter, J. & Pacini, G. Sex and Gender Differences in Risk, Pathophysiology and Complications of Type 2 Diabetes Mellitus. Endocr Rev 37, 278–316 (2016).


2. Lambrinoudaki, I., Paschou, S. A., Armeni, E. & Goulis, D. G. The interplay between diabetes mellitus and menopause: clinical implications. Nat Rev Endocrinol 18, 608–622 (2022).


3. Goossens, G. H., Jocken, J. W. E. & Blaak, E. E. Sexual dimorphism in cardiometabolic health: the role of adipose tissue, muscle and liver. Nat Rev Endocrinol 17, 47–66 (2021).


4. Heni, M. The insulin resistant brain: impact on whole-body metabolism and body fat distribution. Diabetologia 67, 1181–1191 (2024).


5. Hummel, J. et al. Brain insulin action on peripheral insulin sensitivity in women depends on menstrual cycle phase. Nat Metab 5, 1475–1482 (2023).


6. Lin, G. et al. Blood glucose variance measured by continuous glucose monitors across the menstrual cycle. npj Digit. Med. 6, 140 (2023).


7. Hummel, J., Kullmann, S., Wagner, R. & Heni, M. Glycaemic fluctuations across the menstrual cycle: possible effect of the brain. The Lancet Diabetes & Endocrinology 11, 883–884 (2023).


8. Mewes, D., Wäldchen, M., Knoll, C., Raile, K. & Braune, K. Variability of Glycemic Outcomes and Insulin Requirements Throughout the Menstrual Cycle: A Qualitative Study on Women With Type 1 Diabetes Using an Open-Source Automated Insulin Delivery System. J Diabetes Sci Technol 17, 1304–1316 (2023).


9. Tatulashvili, S. et al. Ambulatory Glucose Profile According to Different Phases of the Menstrual Cycle in Women Living With Type 1 Diabetes. J Clin Endocrinol Metab 107, 2793–2800 (2022).

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Verfasser*in: Julia Hummel

Dr. Julia Hummel studierte Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften in Bonn (B. Sc.). Nach Ihrem Masterabschluss in Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim promovierte sie an der Universität Tübingen. Derzeit ist sie am Universitätsklinikum Ulm als Postdoc in der klinischen Diabetes- und Stoffwechselforschung tätig. Hier arbeitet sie daran, Geschlechtsunterschiede beim Diabetes zu entschlüsseln und untersucht, wie Sexualhormone den Stoffwechsel in der Entstehung von Diabetes beeinflussen und welche Rolle das Gehirn bei der Vermittlung dieser Effekte spielt.