Speisenexterne Stimulanzien: Wie die Umgebung die Mahlzeit beeinflusst

Speisenexterne Stimulanzien: Wie die Umgebung die Mahlzeit beeinflusst
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Wussten Sie, wie wichtig die speisenexternen Faktoren sind, damit das Essen schmeckt? Wichtig sind nicht nur die speiseninternen Stimulanzien wie Geschmack, Textur oder Geruch: Die Umgebung, in der gegessen wird, hat großen Einfluss darauf, ob überhaupt ein Angebot wahrgenommen wird und sogar, wie eine Mahlzeit schmeckt (Abb. 1).

 

Der vorliegende Beitrag stellt beispielhaft eine Auswahl speisenexterner Stimulanzien aus drei sehr unterschiedlichen beeindruckenden Studien dieses Forschungsbereichs vor. Die Beispiele bieten gute Ansätze für Praxis und Wissenschaft. Sie sollen die Sensibilität für Mahlzeitenumgebungen schärfen und Lust machen auf die weitere Beschäftigung mit dem Thema.

Abbildung 1: Modell zur Erklärung des Mahlzeitenverhaltens

Quelle: Feulner & Sennlaub 2018: 14, in Anlehnung an Tolksdorf 1976 und Eertmans/Baeyens/Van den Bergh 2001

Stimulanz 1: Tellergröße

Für viele Menschen stellt ein Zuviel oder ein Zuwenig an Nahrungsaufnahme ein Problem dar. Mei Peng (2017) von der University of Otago aus Neuseeland stellt vor diesem Hintergrund die Frage: Wie wirkt sich die Tellergröße auf das geschätzte Sättigungsgefühl und die Nahrungsaufnahme bei normal- und übergewichtigen Personen aus? Dazu hat sie 203 Personen Fotos von gefüllten Tellern gezeigt. Das Mahl und die Menge waren stets gleich, nur die Teller waren unterschiedlich groß. Die Personen wurden um ihre Einschätzung gebeten, ob die Speise sie satt machen und wie viel sie wohl davon essen würden.

 

Im Ergebnis zeigt sich, dass sich die normalgewichtige und die übergewichtige Gruppe in ihrer Anfälligkeit für den Tellergrößen-Effekt unterscheiden. Normalgewichtige Personen schätzen das Sättigungsgefühl bei den kleinen Tellern als höher ein als bei den größeren Tellern. Analog dazu würden sie bei dem kleinen Teller weniger essen als bei dem größeren. Die Effekte sind jeweils signifikant. Bei übergewichtigen Personen kann der Effekt nicht beobachtet werden.

Das Wissen um diesen Effekt sollte in der Praxis genutzt werden, beispielsweise in der Kita oder Schulgastronomie. Demnach sollte etwa ein Drittel des Tellers frei bleiben, damit die Portion aufgegessen wird – entweder indem kleinere Portionen aufgefüllt und die Möglichkeit zum Nachnehmen angeboten wird oder indem größere Teller benutzt werden.

 

Wissenschaftlich interessant für Folgeforschungen sind Fragen wie beispielsweise: Wie reagieren untergewichtige Personen? Wie können die Ergebnisse in der Praxis umgesetzt werden? Welche Möglichkeiten bietet die Studie mit Blick auf die enorme Lebensmittelverschwendung in der Gemeinschaftsgastronomie?

Stimulanz 2: Belichtung

Wer für Dritte ein Essensangebot macht, möchte, dass den Gästen das Essen schmeckt. Was können Verantwortliche „jenseits des Tellers“ dafür tun? Diese Frage stellt sich Thorsten Seemüller (2007) in seiner Dissertation an der Universität Gießen. Er hat untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ambiente und der Wahrnehmung und Bewertung von Mahlzeiten gibt.

Dazu führte Seemüller eine Cross-Over-Studie durch: 192 Personen aßen mittags zwei verschiedene Gerichte in zwei verschiedenen Räumen eines Restaurants. Personal und Speisen unterschieden sich in den beiden Räumen nicht, nur die äußere Umgebung war verschieden: Ein Raum war lichtdurchflutet von Tageslicht, der andere innenliegend beleuchtet und dunkel eingerichtet. Die Tischgäste waren in insgesamt acht Gruppen verschiedener Kombinationen aufgeteilt (Raum A/Gericht A oder Raum A/Gericht B usw.), in einem zweiten Durchgang wurden die Kombinationen so verändert, dass alle irgend möglichen Varianten umgesetzt worden waren. Am Ende der Mahlzeit wurden die Probanden jeweils um eine Bewertung gebeten, z. B.: Wie gut hat Ihnen das Essen geschmeckt? Wie war der Service, wie war der Geruch?

 

Im Ergebnis zeigt sich signifikant: Die Bewertung der Mahlzeit hängt stark von den Lichtverhältnissen ab – in dem hellen Raum wurde das Essen als deutlich schmackhafter wahrgenommen.

 

Die Tischgäste schätzten zudem das Personal als schneller, freundlicher und besser angezogen und den Geruch im hellen Raum als besser ein.

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Für die Praxis heißt das: Für Mittagsmahlzeiten sollten tageslichthelle Räume bevorzugt werden, am besten nah am Fenster oder in einem Wintergarten. Das Ergebnis bezieht sich auf die Mittagszeit. In Folgeforschungen wäre eine vergleichbare Untersuchung für Abendmahlzeiten spannend. Spannend wäre es auch, das Ergebnis spezifisch für die Zielgruppe der älteren Menschen zu überprüfen, die vermehrt von Unter- und Mangelernährung betroffen sind.

Stimulanz 3: Mahlzeiten wie Zuhause in der stationären Verpflegung

In Altenpflegeheimen stellt Mangelernährung von Bewohnerinnen und Bewohnern ein großes Problem dar. Eine Studie aus Holland (Nijs et al. 2006) widmet sich diesem Problem. Ausgehend davon, dass sich die soziale und räumliche Umgebung bei gesunden Erwachsenen positiv auf die Nahrungsaufnahme auswirken, wird dieses Wissen auf Pflegeheime übertragen mit der Frage, ob Mahlzeiten „wie Zuhause“ gegen Mangelernährung wirken können.

Dazu wurde in den Jahren 2002 und 2003 eine randomisierte kontrollierte Studie mit 178 Bewohnerinnen und Bewohnern in fünf niederländischen Pflegeheimen durchgeführt. In jedem Heim wurden je ein Wohnbereich als Interventionsgruppe (insgesamt n=94) und einer als Kontrollgruppe (insgesamt n=84) einbezogen. Sechs Monate lang erhielt die Interventionsgruppe ihre Mahlzeiten im „family-style“, während bei der Kontrollgruppe die übliche Mahlzeitengestaltung umgesetzt wurde. Die Ergebnisse wurden anhand der Zufuhr von Energie (kJ), Kohlenhydraten (g), Fett (g) und Eiweiß (g) sowie anhand des Mini Nutritional Assessment (MNA) gemessen.

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Die Operationalisierung von „family-style“ beinhaltete in diesem Fall einen bunten Strauß an Maßnahmen – beispielsweise wurden Schüsseln und Platten bei den Mahlzeiten auf den Tischen eingesetzt statt, wie in den Häusern üblich, das Tablettsystem genutzt; Störungen während der Mahlzeiten wurden soweit wie möglich vermieden (Besuch, andere Aktivitäten); das Personal setzte sich mit an die Tische statt sich anderen Aufgaben zu widmen und anderes mehr.

Im Ergebnis zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen:

  • Während sich die Energieaufnahme im 24-Stunden-Durchschnitt bei der Kontrollgruppe mit Tablettsystem um 100 kcal reduzierte, stieg sie in der Interventionsgruppe um 115 kcal an.
  • Die Aufnahme aller Makronährstoffe stieg in der Gruppe mit family-style an, in der Gruppe mit Tablettsystem nahmen die Kohlenhydrat- und Proteinzufuhr ab, während die Fettzufuhr unverändert blieb.
  • Nach sechs Monaten stieg der Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner mit einem normalen, zufriedenstellenden Ernährungszustand bei der Gruppe mit familienähnlicher Mahlzeit von 20 auf 51 Prozent, bei der Tablettsystemgruppe sank er von 25 auf 17 Prozent.
  • Der Anteil der mangelernährten Personen sank beim familienähnlichen Setting von 17 auf 4 Prozent und stieg bei der Tablettsystemgruppe von 11 auf 23 Prozent.

Für stationäre und teilstationäre Einrichtungen resultiert daraus die Forderung, die Mahlzeitenumgebung gezielt „wie Zuhause“ zu gestalten; die Kriterien der Studie können dafür wie eine Checkliste genutzt werden. Offen ist bislang, welchen Anteil die jeweiligen Faktoren an dem Effekt haben, wie wichtig beispielsweise die Verhinderung von Störungen ist oder ob schon das Einsetzen von Platten und Schüsseln alleine einen Effekt zeigen würde. Dem sollten Folgeforschungen nachgehen.

Fazit

Die vorgestellten Studien zeigen, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen gestalterischen Maßnahmen und dem Mahlzeitenverhalten gibt. Umgebungsfaktoren vom Geschirr über das Licht bis hin zur gestalterischen Atmosphäre insgesamt wirken auf die Bewertung der Mahlzeit ebenso wie auf das Essverhalten.

 

Bislang ist über die Wirkung von speisenexternen Stimuli zu wenig bekannt. Darüber hinaus wird das Wissen, das bereits vorliegt, zu selten in Mahlzeitensituationen berücksichtigt. Notwendig sind deshalb einerseits mehr fundierte Untersuchungen, die unser Wissen über die Wirkungen der speisenexternen Stimuli vergrößern. Zugleich braucht es eine verstärkte Sensibilität dem Raum gegenüber: Es schmeckt auch, weil die Umgebung stimmt.

Quellen

  1. Feulner, Martina; Sennlaub, Angelika (2018): Einführung. Mahlzeiten wertschätzend gestalten, in: Sennlaub, Angelika; Feist, Cornelia; Feulner, Martina; Hagspihl, Stephanie; Maier-Ruppert, Inge; Schukraft, Ursula; Sobotka, Margarete; Steinel, Margot: Mahlzeiten wertschätzend gestalten. Blicke über den Tellerrand verändern die Gemeinschaftsverpflegung. Freiburg: Lambertus, S. 11-19
  2. Nijs, Kristel A. N. D.; de Graaf, Cees; Siebelink, Els; Blauw, Ybel H.; Vanneste, Vincent; Kok, Frans J.; van Staveren, Wija A. (2006): Effect of Family-Style Meals on Energy Intake and Risk of Malnutrition in Dutch Nursing Home Residents: A Randomized Controlled Trial. Journal of Gerontology: Medical Sciences 2006, Vol. 61A, No. 9, 935–942. https://doi.org/10.1093/gerona/61.9.935
  3. Peng, Mei (2017): How does plate size affect estimated satiation and intake for individuals in normal‐weight and overweight groups? Obes Sci Pract 2017, Vol. 3, No. 3, 282–288.
    https://doi: 10.1002/osp4.119
  4. Seemüller, Thorsten (2008): Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ambiente und der Wahrnehmung und Bewertung von Mahlzeiten? : empirische Studie zur Erforschung von Esssituationen im Kontext von Ambiente. Gießen: JLU Gießen.
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Verfasser*in: Prof. Dr. Angelika Sennlaub

Prof. Dr. Angelika Sennlaub ist promovierte Oecotrophologin. Sie beschäftigt sich mit der tagtäglichen Versorgung. Ihr Hauptinteresse liegt in der Versorgung älterer Menschen sowohl im privaten wie auch im stationären und teilstationären Bereich. Nach mehreren Jahren freiberuflicher Arbeit ist sie seit 2011 als Professorin mit dem Fachgebiet Hospitality Management am Fachbereich Oecotrophologie der Hochschule Niederrhein tätig. Seit 2018 ist sie zudem Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft e. V.