Was uns satt macht. Physiologische Faktoren der Sättigung

Was uns satt macht. Physiologische Faktoren der Sättigung

Was ist Sättigung?

Die Sättigung beschreibt die Abwesenheit eines Hungergefühls, das Gefühl eines gefüllten Magens und die Zufriedenheit, die man nach einer guten, schmackhaften Mahlzeit verspürt [1]. Sie beruht auf physiologischen Signalen [2]. Aber wie genau funktioniert der Vorgang bis zur Entstehung einer Sättigung und wodurch wird sie beeinflusst?

Homöostatisches System

Hypothalamus, Medulla Oblongata

  • Verarbeitung von physiologischen Signalen
  • Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt (Magen, Darm, Leber) registrieren Nahrung
  • Hormone, Sättigungssignale gelangen über die Blut-Hirn-Schranke an die Areale, wo sie wirken
  • Aktivierung von Neuronen, die Hunger oder Sättigung vermitteln
  • Hedonisches System ist mit dem homöostatischen System verschaltet

Hedonisches System

Frontallappen, Mesolimbische Bahn

  • Mesolimbisches System: Neuronales Netzwerk verschiedener Gehirnareale zur Vermittlung von Motivation und Bewertung von Emotionen
  • Aktivierung durch Anblick, Geruch, Geschmack und Essenszufuhr, indem Dopamin und andere Botenstoffe ausgeschüttet werden (Serotonin, Endocannabinoide, Opioide)
  • Beeinflussung durch Hormone, Sättigungssignale
Abb.1: Wichtige Gehirnareale des homöostatischen Systems (grün) und des hedonischen Systems (blau), die in Verbindung miteinander und der Sättigung stehen.

Vor der Sättigung kommt der Hunger oder der Appetit

Grundsätzlich gilt: wer Hunger hat, isst etwas. Hunger signalisiert, dass kurzfristige Energievorräte aufgebraucht sind und etwas gegessen werden sollte. Doch besonders heute, in einer Gesellschaft, in der Lebensmittel im Überfluss existieren, wird oft ohne Hungergefühl gegessen. Daraus folgt meist eine Nahrungszufuhr über unseren Bedarf hinaus. Adipositas, Diabetes mellitus und vieles mehr sind die Folgen, die damit einhergehen [3]. Ob wir Appetit durch äußere Reize verspüren, zum Beispiel beim Anblick und Geruch einer Speise, oder echter Hunger uns zum Essen bringt, ist verbunden mit den verschiedenen Bereichen und Vernetzungen unseres Gehirns [1,3]. Denn nach einer genussvollen, leckeren Mahlzeit fühlen wir uns gut. Das liegt an unserem Belohnungssystem, dass sich in unserem Gehirn befindet, genauer auf der mesolimbischen Bahn. In diesem System spielt besonders der Neurotransmitter Dopamin eine große Rolle [5]. Er wird ausgeschüttet, wenn wir etwas Schmackhaftes sehen, riechen, essen oder länger nichts gegessen haben [5, 6, 8]. Mit Dopamin und anderen chemischen Botenstoffen kommen die positiven Gefühle und damit der sogenannte Belohnungseffekt. Die Erwartung dieser Glücksgefühle ist eine Motivation für die Nahrungsaufnahme [7].

Der Einfluss auf das Essen und die Sättigung

Unser Essverhalten nimmt Einfluss auf die Sättigung. Denn es bestimmt die Häufigkeit und auch die Größe unserer Mahlzeiten [2]. Das Essverhalten wird sehr frühzeitig erlernt, sodass besonders in den ersten Jahren unseres Lebens die Grundlagen dafür gelegt werden. Neben der schon in unserer Genetik verankerten Präferenz für süße, fettige, salzige und umami Speisen, die nährreich sind und unserem Körper Energie liefern sollen, wird unser Essverhalten aufgrund der heutigen Überflussbedingungen eher durch Emotionen reguliert [9, 10, 2]. So sind Genuss und Freude häufig die einzigen Gründe, warum wir essen. Dass wir eigentlich noch gesättigt sind und keine Energie benötigen, wird oft durch die Verlockung der leckeren Speisen überdeckt [2].

Wie es von der Nahrungsaufnahme zur Sättigung kommt

Der Körper wird bei Anblick, Geruch und Kauen durch autonome Reflexe wie Speichel-, Magensaft-, sowie der Insulinsekretion aus der Bauchspeicheldrüse auf die Nahrungszufuhr vorbereitet [4]. Auswirkungen darauf, wann wir uns gesättigt fühlen, haben vor allem die Füllung des Magens, die Ausschüttung von Hormonen aus dem Gastrointestinaltrakt (GIT) und die Freisetzung von Neurotransmittern über Neuronen im Gehirn.

 

1. Magen-Füllung

Der Magen sendet bei einer Füllung von etwa 400 ml Sättigungssignale bzw. appetithemmende Signale über den Vagusnerv an das Gehirn, genauer an einen Hirnnervenkern, den Nucleus tractus solitarii (NTS). Dieser steht in Kontakt mit der Schaltzentrale für Hunger und Sättigung, dem Hypothalamus. Dabei kommt es zunächst nicht so sehr darauf an was man isst, sondern eher wie viel. Auch die Konsistenz der Nahrung hat einen bestimmten Einfluss, denn diese entscheidet mit über die Verweildauer im Magen und damit darüber, wie lange die Sättigungssignale ausgeschüttet werden [1, 3, 11].

 

2. GIT- und Pankreashormone und die reizvermittelnden Neurotransmitter

Hunger und Sättigung werden hauptsächlich durch Hormone vermittelt. Diese führen zur Ausschüttung von Neurotransmittern, die das Empfinden von Hunger bzw. Sättigung auslösen. Es existiert eine Vielzahl an Hormonen, die Sättigung vermitteln. Daneben gibt es nur ein Hormon, das Hungergefühl vermittelt: Ghrelin. Im leeren Magen wird dort Ghrelin gebildet. Über den Vagusnerv wird das Signal an die Blut-Hirn-Schranke transferiert, überwindet diese und gelangt zum Hypothalamus. Hier stimuliert es die orexigenen Hunger-Signale.  Dazu gehören Neurotransmitter wie Neuropeptid Y (NPY) und Agouti-ähnliches Protein (AgRP), die sowohl die Nahrungsaufnahme als auch die Energiespeicherung anregen. Zudem stimuliert Ghrelin die Freisetzung von Dopamin und damit die Motivation, sich mit Nahrung zu versorgen [2, 12].

Unter den sättigungsvermittelnden anorexigenen Hormonen finden wir beispielsweise Insulin, Cholezystokinin (CCK), GLP-1, Sekretin, Serotonin und viele mehr. [1, 13]. Insbesondere Insulin ist mit seiner Wirkung im Gehirn hauptverantwortlich dafür, dass wir uns gesättigt fühlen. Es schleust also nicht nur den Blutzucker aus der Blutbahn ins Gewebe, sondern löst durch Bindung an Insulinrezeptoren im Hypothalamus eine Kaskade mit anorexigenen Signalen aus, die Sättigung vermitteln. So wird durch die beiden Neurotransmitter Proopiomelanocortin (POMC) sowie Kokain- und Amphetamin-reguliertes Transkript (CART) die Sättigung verstärkt und die Freisetzung orexigener Signale gehemmt. Dabei beeinflusst Insulin auch unser Belohnungssystem, indem es Dopamin reguliert. So hängen homöostatisches System und hedonisches System zusammen und haben Auswirkungen auf Emotionen und Essverhalten (Abb.1). Eine Dysregulation der Systeme kann beispielsweise aufgrund einer ständigen und übermäßigen Zufuhr ungünstiger Lebensmittel, einer Insulinresistenz oder Diabetes mellitus entstehen. Auswirkungen hat dies auf die Kontrolle der Nahrungszufuhr, die bis zur Hyperphagie führen kann. Dabei liegen die Präferenzen auf hochkalorischen Mahlzeiten. So kann nur eine kleine hormonelle Veränderung zu der Entwicklung einer Adipositas und deren Begleiterkrankungen beitragen. Auch unsere Stimmungslage kann sich durch Dysregulation verändern. Motivationslosigkeit, Depression und Angstzustände sind die Folgen [1, 14].

Der Einfluss des Fettgewebes

Unser Fettgewebe sendet ebenfalls Signale an den Hypothalamus und den NTS, indem es das Hormon Leptin ins Blut abgibt. Im Gehirn angekommen beeinflusst es unser Belohnungssystem, indem es die Ausschüttung von Dopamin hemmt und somit die Nahrungsaufnahme unterdrückt. Außerdem stimuliert Leptin bei hoher Blutkonzentration die anorexigenen Neurotransmitter POMC und CART, verstärkt so die Sättigungssignale und erhöht die Stoffwechselprozesse zum Energieverbrauch. Liegt es allerdings in niedriger Konzentration im Blut vor, regt dies die orexigenen Neurotransmitter NPY und AgRP an. Da die Leptin-Spiegel mit der Fettmasse proportional zunehmen, könnte man meinen, dass besonders adipöse Menschen eine langfristige Sättigung erfahren. Das ist allerdings nicht der Fall, denn vermutlich entsteht durch inflammatorische Substanzen aus dem Fettgewebe eine Leptinresistenz [1, 2, 12].

Unsere Mikrobiota – ein einflussreicher Faktor

Die Mikrobiota hat über die Darm-Hirn-Achse verschiedenste Einflüsse auf unser Wohlbefinden. Nun ist auch bekannt, dass die Darmbakterien Signale rund um Hunger und Sättigung beeinflussen. So regen beispielsweise kurzkettige Fettsäuren, Stoffwechselprodukte der Mikrobiota, die Sekretion von Insulin und Leptin an. Allerdings basieren diese Feststellungen bisher hauptsächlich auf In-vitro-Studien und Nagetiermodellen [15].

Was essen für ein gutes Sättigungsgefühl?

Um sich kurz und auch langfristig zu sättigen, ist es wichtig, eine gute Balance zwischen den Makronährstoffen in den Mahlzeiten zu schaffen. Sowohl Proteine und Kohlenhydrate als auch Fette zeigen in unterschiedlicher Weise positive Auswirkungen auf die Sättigung. Proteinreiche Mahlzeiten führen dazu, dass das sättigungsvermittelnde pankreatische Polypeptid (PP) ausgeschüttet wird [1, 16, 18]. Zudem trinken wir bei proteinreichen Mahlzeiten mehr, was für eine konstante Füllung des Magens sorgt. Harnpflichtige Substanzen wie Harnsäure und Harnstoff, die durch eine höhere Proteinzufuhr anfallen, werden durch die vermehrte Wassermenge gut ausgeschieden [17]. Kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel mit hohem Ballaststoffgehalt füllen den Magen und sorgen für eine verlängerte Verweildauer [16, 19]. Außerdem wird durch den daraufhin steigenden Blut-Glukose-Spiegel als metabolisches Signal ebenfalls Sättigung induziert [18]. Insbesondere Nahrungsfette wirken stark verzögernd auf die Magenentleerung [20].

Generell gilt: Was den Magen gut und lange füllt, sättigt. Die Energiedichte der Nahrung entscheidet dann im Idealfall über die aufgenommene Energiemenge [18]. Aufgrund dessen sollten verarbeitete Lebensmittel mit hoher Energiedichte vermieden werden. Auch Getränke mit hohem Energiegehalt bringen kaum Sättigung, aber dafür eine Menge Energie. Langfristig gesehen ist im Hinblick auf die Hunger- und Sättigungssignale eine gute Energiebalance des Körpers wichtig.

Schafft man für sich einen guten Mahlzeiten-Rhythmus in Verbindung mit einer vielseitigen Ernährung nach Energiebedarf, steht einem guten Hunger-Sättigungsverhältnis nichts im Wege – außer die Verlockungen aus unserer Umwelt.

Übersicht: Nahrungsbestandteile und Sättigungswirkung

[14, 16, 18, 20, 21, 23, 24, 25]

Mehr zur Sättigung und zu weiteren Themen finden Sie hier: www.ugb.de/symposium/

Literatur

[1] Stangl G.I. (2021) Hunger und Sättigung. In: Föller M., Stangl G.I. (eds) Ernährung – Physiologische und Praktische Grundlagen. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi-org.ezproxy.uni-giessen.de/10.1007/978-3-662-61667-3_11

[2] Langhans, W. (2010). Hunger und Sättigung. Ernährungs Umschau, 10/10, S. 550-558

[3] Langhans, W. (2015). Die Verführung: Appetit – Hunger – Sättigung. Tabula, 1/15, S. 4-8

[4] FETeV (2021) Hunger- und Sättigung https://fet-ev.eu/hunger-saettigung/

[5] Costandi M (2015) 50 Schlüsselideen Hirnforschung, DOI 10.1007/ 978-3-662-44191-6_1, Springer-Verlag Berlin Heidelberg

[4] Mathias D (2015), Fit von 1 bis Hundert, DOI 10.1007/978-3-662-44158-9_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg       

[7] Biesinger R (2019) Ohne Dop(amin)e ist alles doof, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Springer Nature https://doi.org/10.1007/978-3-658-23526-0_1

[8] Schoen K (2018) Gegenüberstellung von Essensdüften und Blumendüften im Hinblick auf ihre Verarbeitung im mesolimbischen System – eine fMRT-Studie. Dissertationsschrift, Dresden

[9] Gätjen, E. (2013). Kinder brauchen Vorbilder. UGB-Forum, 2/2013, S. 89-92

[10] Pudel, V. (2006). Verhältnisprävention muss Verhaltensprävention ergänzen. Ernährungs Umschau, 3/6, S. 95-98

[11] Langhans, W. (2018) Änderung von Hunger und Sättigung im Alter. Schweizerische Zeitschrift für Ernährungsmedizin, 5/2018, S. 6-9

[12] Lutter M, Nestler E (2009) Homeostatic and Hedonic Signals Interact in the Regulation of Food Intake, J. Nutr. 139: 629–632

[13] Schnabl K et al. (2021) Secretin als Sättigungsflüsterer mit dem Potenzial, sich in einen Fettleibigkeitsritter zu verwandeln, Endokrinologie , Band 162, Heft 9, September 2021, bqab113, https://doi. org/10.1210/endocr/bqab113

[14] Kleinridders, A, Pothos, EN. (2019) Impact of Brain Insulin Signaling on Dopamine Function, Food Intake, Reward, and Emotional Behavior. Curr Nutr Rep 883–91
https://doi.org/10.1007/s13668-019-0276-z

[15] Han H, Yi B, Zhong R (2021) et al. From gut microbiota to host appetite: gut microbiota-derived metabolites as key regulators. Microbiome. 2021;9(1):162. Published 2021 Jul 20. doi:10.1186/s40168-021-01093-y

[16] Tremblay A, Bellisle F (2015) Nutrients, satiety, and control of energy intake Appl. Physiol. Nutr. Metab. 40: 971–979 dx.doi.org/10.1139/apnm-2014-0549

[17] Freudenberg A, Petzke KJ, Klaus S (2012) Dietary L-leucine and L-alanine supplementation have similar acute effects in the prevention of high-fat diet-induced obesity. Amino Acids [published online 31.07.2012, DOI: 10.1007/s00726- 012-1363-2]

[18] Amin T, Mercer JG (2016) Hunger and Satiety Mechanisms and Their Potential Exploitation in the Regulation of Food Intake. Curr Obes Rep. 2016;5(1):106-112. doi:10.1007/s13679-015-0184-5

[19] n.n. (2010) Mehr Ballaststoffe bitte! Ballaststoffreiche Ernährung senkt das Risiko für ernährungsmitbedingte Krankheiten Ballaststoffe – kein überflüssiger Ballast DGE aktuell, 2010 11/2010 vom 22.09.2010

[20] Hahn S, Hauenschild A, Schmidt B (2015) Der Verdauungstrakt Teil 2: Magen, Ernährungs Umschau, 8/2015, M456 – M464

[21] https://www.ernaehrungs-umschau.de/branche-aktuell/18-09-2018-joghurtproteine-helfen-beim-sattwerden-und-bleiben/

[22] Biesalski, H.K. (2017). Unsere Ernährungsbiografie, Wer sie kennt, lebt gesünder. Albrecht Knaus Verlag.

[23] Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI), (2012). Identifizierung von sättigungsregulierenden Inhaltsstoffen in Nahrungsfetten und Optimierung von fettarmen Lebensmitteln durch Zusatz von lipoiden Verbindungen mit hoher Sättigungswirkung (Teilprojekt 3 im DFG/AiF-Cluster 3), Bonn 2012.

[24] n.n. (2002) Wie entsteht das Sättigungsgefühl?
https://www.ernaehrungs-umschau.de/news/20-11-2002-wie-entsteht-das-saettigungsgefuehl/

[25] Klaus, S. (2014). Hunger entsteht im Gehirn. Tagungsband zum 16. aid-Forum: Verflixtes Schlaraffenland – Wie essen und Psyche sich beeinflussen, 2014, S. 18-27

 

Bilder und Fotos: pixabay.com

Informationen zu den Autor*innen

Anne Mehring, B.Sc. oec. troph. studiert Ernährungswissenschaften im Master an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sie absolviert zurzeit ein Praktikum beim Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB).

 

Hans-Helmut Martin, Dipl. oec. troph., Dozent, Autor und wissenschaftlicher Leiter der UGB-Akademie.

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Verfasser*in: Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB)

Der Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) setzt sich seit 1981 für mehr Gesundheit und Lebensqualität in unserer Gesellschaft ein, indem er zu einer nachhaltigen Ernährung und einer umweltverträglichen Lebensweise motiviert. Er unterstützt interessierte Menschen auf ihrem Weg zu einer erfolgreichen, gesundheitsfördernden Lebensgestaltung und bietet sowohl Einzelseminare als auch Ausbildungen zu dieser Thematik an.