Ernährung bei Querschnittlähmung – eine quantitative Befragung von Betroffenen

Ernährung bei Querschnittlähmung – eine quantitative Befragung von Betroffenen
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Das Thema Ernährung und Querschnittlähmung ist bisher wenig erforscht. Es gibt Studien, die zeigen, dass der BMI aufgrund einer veränderten Körperzusammensetzung bei Querschnittgelähmten im Durchschnitt eine Stufe höher eingeordnet werden müsste als in den Stufen von Nichtgelähmten üblich (Groah et al., 2009). Des Weiteren scheint der Grundumsatz um zehn bis 15 Prozent geringer zu sein als bei Nichtgelähmten (von Laffert, 2010), bei jedoch gleichbleibendem Vitamin- und Mineralstoffbedarf (Obereisenbuchner et al., 2022). Zusätzlich finden sich bei allen Querschnittgelähmten Störungen in der Darmfunktion mit individuell unterschiedlich starken Ausprägungen.  

Dieser Artikel befasst sich zunächst kurz mit theoretischen Grundlagen zum Thema Querschnittlähmung und dem Einfluss auf die Ernährung. Im weiteren Verlauf geht es um die Fragen, welches Wissen Querschnittgelähmte über die spezifische Ernährung haben, ob und mit welchen Problemen im Magen-Darm-Trakt sie konfrontiert sind und welche Lösungen sie für etwaige Probleme bereits gefunden haben. In diesem Rahmen wurde eine Onlinebefragung durchgeführt, bei der sowohl die Aktivität der Befragten als auch Probleme im Magen-Darm-Trakt sowie ernährungsspezifische Aspekte abgefragt wurden. Teilgenommen haben n = 84 Proband*innen mit einem Durchschnittsalter von 39,0 ± 13,1 Jahren und einem durchschnittlichen BMI von 24,0 ± 5,5 kg/m². Teilgenommen haben 27 Tetraplegiker*innen und 57 Paraplegiker*nnen, von denen 75 Proband*innen angeben zur Therapie zu gehen und 57 treiben Sport. Die häufigsten Sportarten wurden mit Handbike und Krafttraining/Fitness angegeben.  

Grundlagen der Querschnittlähmung in Bezug zur Ernährung

Bei einer Schädigung des Rückenmarks kann es zu Lähmungen kommen, hier spricht man von einer Querschnittlähmung. Abhängig von der Höhe, dem entsprechenden sogenannten neurologischen Niveau und dem Schweregrad kann zwischen einer Tetraplegie/-parese und Paraplegie/-parese unterschieden werden. Je nach Lokalisation der Schädigung ist die Rumpfmuskulatur ebenfalls von der Lähmung betroffen.  

Neurologische Symptome können die Sensibilität, die Motorik und/oder die autonomen Funktionen betreffen.  

Die Motorik wird anhand sogenannter Kennmuskeln geprüft. Die Einteilung der Ausprägung wird anhand der Kraftgrade nach Janda vorgenommen (Smolenski et al., 2020). Die Überprüfung der Kennmuskeln ist für die Aktivität und das Einschätzen der Restfunktionen von Querschnittgelähmten weitaus relevanter als die Einteilung in komplette und inkomplette Lähmung. Für die Querschnittlähmung und die Einschätzung, wie hoch der Energieumsatz ist, spielt die Überprüfung der Kraftgrade eine wichtige Rolle. Wenn der Großteil der Muskulatur Kraftgrade von drei bis vier aufweist, wird der Energieverbrauch höher sein als bei durchgehenden Kraftgraden von null bis eins bei gleicher Lähmungshöhe, da mehr Muskulatur in größerem Ausmaß genutzt werden kann. 

Zusammenfassend lässt sich bezogen auf die Kraftgrade sagen, je höher die Kraftgrade sind, umso mehr Restfunktionen sind vorhanden und umso höher ist der Energieverbrauch im Vergleich zu schwerer Betroffenen mit geringeren Restfunktionen und somit geringeren Kraftgraden.  

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Die Rückenmarkssegmente Th7 bis Th12 sind für die sensible Innervation der Bauchhaut und die motorische Innervation der großen Abdominalmuskeln zuständig (Trepel, 2022), was einen Einfluss auf die Bauchpresse und damit den Stuhlgang hat. 

Bei einer Querschnittlähmung kann es ebenfalls zu einer Spastik, einer sogenannten unwillkürlichen Tonuserhöhung der Muskulatur kommen. Die Dauer und die Stärke der Spastik äußern sich sehr unterschiedlich, was wiederum den Energieumsatz unterschiedlich beeinflusst. Des Weiteren ist auch bei der Spastik relevant, welche Muskeln eine Tonuserhöhung aufweisen, wodurch der Energieverbrauch in größerem oder kleinerem Ausmaß beeinflusst wird.  

Neben den motorischen und sensiblen Einschränkungen kann eine Schädigung des Rückenmarks auch das autonome Nervensystem betreffen. Die glatte Muskulatur der Eingeweide und Gefäße, das Herz, sowie exo- und endokrine Drüsen werden hierüber innerviert. Gesteuert wird zum Beispiel die Atmung, der Kreislauf, der Stoffwechsel und die Peristaltik, was einen deutlichen Einfluss auf die Ernährung und die Verdauung von Querschnittgelähmten hat. Je nach Höhe der Querschnittlähmung ist der Einfluss auf die Funktionen von Sympathikus und Parasympathikus fördernd oder hemmend, was auch auf die Verdauung und dementsprechend auf die Ernährung einen enormen Einfluss hat. Die Innervation des Parasympathikus auf Höhe S2 bis S4 ist der Grund, warum es bei allen Querschnittgelähmten zu Darmfunktionsstörungen kommt (Obereisenbuchner et al., 2022). Auch der Sympathikus, bei einer Querschnittlähmung zwischen Th1 bis L3 betroffen, hat einen Einfluss sowohl auf den Magen als auch auf den Darm. Bei eingeschränktem Sympathikus kann es zu einer Sekretminderung der Speichel-, Magen- und Darmdrüsen kommen, was ebenfalls einen Einfluss auf die Verdauung hat.  

Das Darmmanagement und somit der gesamte Abführprozess von Stuhlkonsistenz über Menge bis hin zu Regelmäßigkeit (Geng et al., 2019), spielen bei der Querschnittlähmung eine große Rolle. Zum einen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden zu erhalten und zum anderen, um Komplikationen zu vermeiden. Ziel des Darmmanagements von Querschnittgelähmten sollte ein regelmäßiger Abführrhythmus bei entsprechender Stuhlkonsistenz sein, welche durch entsprechende Ernährung beeinflusst werden kann.  

Abb. 1: Vergleich Leistungsumsatz bei unterschiedlichen Aktivitätsniveaus und unterschiedlicher Lähmungshöhe
Abb. 1: Vergleich Leistungsumsatz bei unterschiedlichen Aktivitätsniveaus und unterschiedlicher Lähmungshöhe

Diese Beispiele sollen deutlich machen, wie unterschiedlich jeder Querschnittgelähmte ist, welche Herausforderungen sich durch verschiedene Lähmungshöhen ergeben und wie individuell für jeden Einzelnen auf die Ernährung, allein hinsichtlich des Leistungsumsatzes, zu achten ist. Allgemeine Regeln, die auf Querschnittgelähmte übertragbar sind, sind aufgrund der unterschiedlichen Funktionseinschränkungen nur schwer möglich. 

In der Gesamtheit weicht die Ernährung von Querschnittgelähmten nicht wesentlich von der von Nichtgelähmten ab, da die grundsätzliche Physiologie erhalten bleibt. Daher gelten grundsätzlich die Ernährungsempfehlungen der DGE mit den zehn Regeln zum vollwertigen Essen und Trinken als Orientierung. 

Die Befragung

Das Ziel der Umfrage war es, zu analysieren, welches Wissen Querschnittgelähmte über die Besonderheiten ihrer Ernährung haben, welche Probleme sie gegebenenfalls im Magen-Darm-Trakt im Zuge der Lähmung haben, aber auch welche Lösungen sie bereits gefunden haben.  

Abb. 2: Auseinandersetzung mit Ernährung

Die Umfrage zeigt, dass nur 33 Prozent der Befragten seit der Lähmung eine Ernährungs-beratung hatten und circa 50 Prozent ihre Ernährung im Zuge der Lähmung angepasst haben.  

Knapp 80 Prozent geben an, Probleme im Magen-Darm-Trakt zu haben und nur knapp 44 Prozent achten häufig oder (fast) immer auf den Ballaststoffgehalt. Hier konnte eine negative Korrelation mit einem signifikanten Ergebnis gefunden werden. Je mehr auf den Ballaststoffgehalt geachtet wird, umso weniger Probleme werden im Magen-Darm-Trakt angegeben.  

Abb. 3: Relative Häufigkeit von Problemen im Magen-Darm-Trakt nach der Lähmung
Abb. 4: Relative Häufigkeit der Beachtung von Ballaststoff-/ Vitamin-/ Mineralstoffgehalt und Trinkmenge

77 Prozent der Proband*innen geben an, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, jedoch verzehren nur knapp 30 Prozent täglich Obst und Gemüse und nur 20 Prozent täglich Vollkornprodukte. 

 

Zusätzlich lässt sich feststellen, dass die angegebene Trinkmenge bei knapp 50 Prozent zu gering ist.   

Abb. 5: Relative Verzehrhäufigkeit von Vollkornprodukten, Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch
Abb. 6: Trinkmenge

In der Summe scheint also das Wissen von Querschnittgelähmten in Bezug auf ihre spezifische Ernährung nicht stark ausgeprägt zu sein.  

Ergebnisse

Als ein wichtiges Ergebnis lässt sich festhalten, dass nur rund ein Drittel der Befragten seit der Lähmung eine Ernährungsberatung hatten, und nur 50 Prozent haben sich mit der spezifischen Ernährung auseinandergesetzt. Zusätzlich haben nur 50 Prozent die Ernährung im Zuge der Lähmung angepasst. Ein Großteil der Befragten gibt Probleme im Magen-Darm-Trakt an, die Lösungen hierfür sind kaum bekannt. Die eigene Ernährung wird zwar vermehrt als gesund und ausgewogen angesehen, jedoch spiegelt sich diese eigene Einschätzung aus professioneller ernährungsphysiologischer Sicht nicht in den Angaben zur Wichtigkeit und Verzehrhäufigkeit einzelner Lebensmittel wider.  

Betroffene sollten ein Grundlagenwissen über die spezifische Ernährung haben, um bei Problemen adäquat handeln zu können. Ihnen sollte bewusst sein, welche Probleme entstehen können und wie sie in Form von Änderungen im Ernährungsverhalten gegen die Probleme vorgehen können. Das Wissen über Einschränkungen in der Darmfunktion, in der Darmperistaltik und den damit einhergehenden Problemen, sollte bei den Betroffenen vorhanden sein, um ihren Körper besser zu kennen und selbstständig Lösungen produzieren zu können, wenn Probleme hinsichtlich des Darmmanagements im weitesten Sinne auftreten. Nicht nur das Wissen um das Darmmanagement, auch das Wissen um Grund- und Leistungsumsatz und die Körperzusammensetzung sollte vorhanden sein, um langfristig bewusst entscheiden zu können, welchen Einfluss die Ernährung auf das zukünftige Leben haben soll.  

Hinsichtlich der Ernährungsberatung stellt sich die Frage, warum das besonders in der Erstrehabilitation nicht vermehrt aufgegriffen wird. Da rund 80 Prozent der Betroffenen Probleme im Magen-Darm-Trakt angeben, scheint der Bedarf an individueller Beratung in hohem Maße vorhanden zu sein. Ob nun die Beratungsangebote zu gering sind oder ob die Betroffenen die Wege der Beratung nicht gehen, lässt sich aus der vorliegenden Befragung nicht entnehmen.  

Fazit und Ausblick

Bezogen auf die Forschungsfragen lässt sich folgendes Fazit ziehen:. Das Wissen zur spezifischen Ernährung bei Querschnittlähmung in der Gruppe der Befragten scheint, wie oben dargestellt, eher gering zu sein.  

Für die weitere Forschung stellt sich die Frage, wie genau sich Querschnittgelähmte ernähren. Möglicherweise könnten Daten zu dieser Frage mit einem konkreten Food Frequency Questionnaire (FFQ) über einen längeren Zeitraum in Kombination mit der Ermittlung möglicher Probleme im Magen-Darm-Trakt erhoben werden. Im Rahmen einer solchen Untersuchung könnte mit Betroffenen eine Ernährungsberatung durchgeführt werden. Zudem könnten sie hinsichtlich ihrer eigenen Gesundheit und Ernährung geschult und konkrete Ernährungshinweise gegeben werden, um im Verlauf zu beobachten, ob und gegebenenfalls auch welche Probleme sich mit welcher Ernährungsintervention reduzieren lassen. Im weiteren Verlauf könnten solche konkreten Daten in die Leitlinie für das Darmmanagement bei Querschnittlähmung vermehrt mit einfließen. So können Betroffene von Betroffenen profitieren.  

So wie es für vermeintlich Gesunde nicht die eine Ernährung gibt, gibt es auch keine klar geregelte Ernährung für Querschnittgelähmte, vor allem nicht aufg Grund der unterschiedlichen Funktionseinschränkungen. Nichtsdestotrotz sollten Betroffene bereits früh nach der Lähmung mit dem Thema Ernährung und Problemen hinsichtlich des Magen-Darm-Traktes informiert und vor allem geschult werden. Am Ende trifft jede/r Betroffene selbst die Entscheidung, mit welchen Themen er/ sie sich auseinandersetzt und mit welchen nicht. So oder so sollte das Thema Ernährung in den Bereichen des Darmmanagements und der Gesundheit von Querschnittgelähmten mehr Präsenz erhalten.  

Literatur

Groah, S. L., Nash, M.S., Ljungberg, I. H., Libin, A., Hamm, L.F., Ward, E., Burns, P.A., Enfield, G., (2009) Nutrient Intake and Body Habitus After Spinal Cord Injury:An Analysis by Sex and Level of Injury. J Spinal Cord Med. 2009;32(1):25-33. doi: 10.1080/10790268.2009.11760749. PMID: 19264046; PMCID: PMC2647496. 

 

von Laffert, A. (2010). Ruheumsatz und Zusammenhang mit dem Ernährungs- und Bewegungsverhalten bei Querschnittgelähmten, Universität. Hamburg, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fachbereich Ökotrophologie. 

 

Obereisenbuchner, J., Kreutzträger, M., Rehahn, K. & Geng, V. (2022) Ernährung bei Menschen mit Querschnittlähmung – Teil 1. Ernährungs Umschau, 69 (12), M678 – M687.  

 

Smolenski, U., Buchmann, J., Beyer, L., Harke, G., Seidel, W. & Pahnke, J. (2020). Janda – Manuelle Muskelfunktionsdiagnostik Theorie und Praxis (6. Aufl.). Elsevier 

 

Trepel, M. (2022). Neuroanatomie, Struktur und Funktion. Elsevier 

 

Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie e.V. (2019) – S2 Leitlinie: Abgerufen von: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/179-009 Zugriff am 01.01.2024 

M.Sc. Sport, Bewegung und Ernährung an Europas größter Sportuniversität studieren 

 

Der Bedarf an qualifizierten, interdisziplinär ausgebildeten Fachkräften steigt sowohl im Gesundheitswesen als auch im Leistungssport sowie im Fitness- und Lifestylebereich immer mehr an. Im Master of Science Sport, Bewegung und Ernährung an der Deutschen Sporthochschule Köln werden beide Wissenschaften optimal miteinander kombiniert. 

Die Regelstudienzeit beträgt 4 Semester. Dabei wechseln sich Selbststudienphasen mit Präsenzphasen an der Sporthochschule ab. Das Studium beginnt jährlich im Oktober, der Bewerbungsschluss ist jeweils Mitte Juni. 

 

Alle Infos finden Sie hier: 

https://www.dshs-koeln.de/universitaere-weiterbildung/master-zertifikate/weiterbildungsmaster/msc-sport-bewegung-und-ernaehrung/ 

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Verfasser*in: Maike Behler

Maike Behler hat 2024 nebenberuflich ihren Master in Sport, Bewegung und Ernährung an der Deutschen Sporthochschule in Köln absolviert. Nach dem Bachelor 2014 arbeitete sie als Sporttherapeutin in einem neurologischen Therapiezentrum. Das Patientenklientel reichte von Schlaganfallpatient*innen über MS, ICP bis hin zu Querschnittgelähmten. Das Interesse lag schon vor Beginn des Bachelorstudiums auf der Neurologie. Zurzeit arbeitet sie in einem Sanitätshaus im Rahmen der Hilfsmittelberatung für neurologische Patient*innen und gibt als Lehrbeauftragte den Kurs „Sporttherapie in der Neurologie“ an der Ruhr-Universität Bochum an der Fakultät für Sportwissenschaften.