Qualitätsentwicklung in der Ernährungsberatung und -therapie
Die individuelle, klient*innenzentrierte Ernährungsberatung und -therapie (EBT) leistet einen entscheidenden Beitrag für eine nachhaltige und passgenaue Prävention und Therapie ernährungsmitbedingter Erkrankungen. In der EBT gewinnt der Einsatz von Prozessmodellen an Bedeutung. Doch bisher ist die Operationalisierung der Prozessschritte lückenhaft. Benötigt werden wissenschaftlich fundierte Methoden zur Gestaltung der einzelnen Prozessschritte im Sinne der evidenzbasierten Praxis. Gleichzeitig stehen in der EBT limitierte personelle und zeitliche Ressourcen zur Verfügung. Es werden demnach sowohl evidenzbasierte als auch einfach umzusetzende und ressourcenschonende Vorgehensweisen für die Operationalisierung der Prozessschritte benötigt.
Das Diätetische Assessment in der Ernährungsberatung und -therapie
Ziel des Diätetischen Assessments – als erster Schritt in der prozessgeleiteten EBT – ist die strukturierte Erhebung und Sammlung aussagekräftiger Daten. Die Ernährungsgewohnheiten (engl. Diet History) stellen hier eine zentrale Kategorie dar, die vollständig in der Verantwortung der Ernährungsfachkräfte liegt.
Die Ernährungsgewohnheiten umfassen die Lebensmittel-, Energie- und Nährstoffaufnahme und ihre Bewertung bzw. Bilanzierung auf Grundlage lebensmittelbasierter Empfehlungen bzw. des Energie- und des Nährstoffbedarfs. Dabei stehen gerade in der Prävention und Therapie ernährungsmitbedingter Erkrankungen die lebensmittelbasierten Empfehlungen im Fokus. Somit scheint im Diätetischen Assessment eine Erhebung und Bewertung der Ernährungsgewohnheiten auf Basis der Lebensmittelaufnahme sinnvoll.
Der Fokus auf lebensmittelbasierte Empfehlungen ist eng verknüpft mit dem Begriff „gesunde Ernährungsmuster“ und der Ernährungsqualität. Zu den „gesunden Ernährungsmustern“ mit einer hohen Ernährungsqualität zählen beispielsweise die mediterrane Ernährung oder die DASH-Diät, aber auch eine Ernährung basierend auf den nationalen lebensmittelbasierten Empfehlungen (Food Based Dietary Guidelines, FBDG), die für Deutschland von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e. V. ausgesprochen werden.
Bislang werden zur Erfassung der Ernährungsgewohnheiten in der EBT einerseits die klassischen Ernährungserhebungsmethoden empfohlen und andererseits häufig eigens erstellte Anamnesebögen eingesetzt. Über die erhobenen Daten und die Art der Auswertung ist bisher wenig bekannt. Üblich ist eine nährstoffbasierte Auswertung mithilfe einer Ernährungssoftware. Diese ist jedoch sehr zeitaufwendig und erfolgt auf Energie- und Nährstoffebene, nicht aber auf der Ebene der Lebensmittelempfehlungen.
Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer wissenschaftlich fundierten Erhebung und Bewertung der Ernährungsgewohnheiten bieten sog. Screener ein hohes Potential. Screener werden in vielen Bereichen der evidenzbasierten Medizin eingesetzt; beispielsweise im Bereich der Mangelernährung sind sie gut erforscht und etabliert.
Screener zur Erfassung der Ernährungsqualität
Ein Blick in die internationale Fachliteratur zeigt, dass für die Bestimmung der Ernährungsgewohnheiten, insbesondere der Ernährungsqualität, ebenfalls Screener eingesetzt werden.
Eine systematische Literaturrecherche und -analyse ergab, dass Screener zur Erfassung der Ernährungsqualität basierend auf FBDG seit Beginn der 2000er Jahre in vielen Ländern, darunter die USA, Australien, Nordeuropa und die Schweiz, entwickelt und getestet wurden. Von elf systematisch recherchierten und analysierten Screenern wurden sieben für die EBT entwickelt, häufig mit dem Ziel Klient*innen, die eine EBT benötigen, herauszufiltern und die EBT auf die Klient*innen abzustimmen. Für Deutschland existiert bisher kein Screener zur Erfassung der Ernährungsqualität basierend auf den nationalen FBDG.
Entwicklung und Testung eines Screeners für Deutschland
Ziel des Forschungsvorhabens ist es deshalb, einen Screener zur Erfassung der Ernährungsqualität basierend auf den nationalen FBDG für Deutschland zu entwickeln und zu testen, um ihn langfristig in der EBT anwenden zu können. Hierfür ist das Vorhaben in aufeinander aufbauende Meilensteine gegliedert:
1. Entwicklung des Screeners
- Screener-Design: Die Entwicklung des Screeners basiert auf aus der Literatur abgeleiteten Kriterien und deren Anwendung in den systematisch recherchierten Screenern. Diese Kriterien geben Empfehlungen für die Entwicklung des theoretischen Rahmens, die Auswahl der Indikatoren, die Skalierung inkl. Cutoff-Werten und Bewertung sowie für die Aggregation und Gewichtung.
- Screener-Inhalt: Der Screener erhebt und bewertet die nationalen FBDG für Deutschland, die durch die DGE e. V. entwickelt und verbreitet werden. Diese Empfehlungen bilden die wissenschaftliche Grundlage für den Inhalt des Screeners. Ergänzt werden die Empfehlungen der DGE e. V. um die Ernährungspyramide des Bundeszentrums für Ernährung (BZfE) als ein weiteres Modell für die Ernährungspraxis. Auch aktuelle Auseinandersetzungen zur Weiterentwicklung der FBDG der DGE e. V. werden einbezogen.
2. Testung des Screeners
Um die Aussagekraft des Screeners für die EBT zu charakterisieren, ist die Bestimmung der Gütekriterien Validität und Reliabilität essentiell. Zusätzlich ist die Bestimmung der Praktikabilität von Bedeutung.
- Validität: Für die Testung eines Screeners wird die Bestimmung der Kriteriumsvalidität und der relativen Validität empfohlen. Sie untersuchen, ob ein Erhebungsinstrument genaue Messungen erzielt und mit einem etablierten Kriterium – einem Referenzstandard – übereinstimmt.
Auch die Überprüfung der Inhaltsvalidität wird als relevant beschrieben, wenn ein völlig neues Instrument entwickelt wird. Sie untersucht, ob ein Erhebungsinstrument gut konstruiert und fundiert ist.
- Validität: Für die Testung eines Screeners wird die Bestimmung der Kriteriumsvalidität und der relativen Validität empfohlen. Sie untersuchen, ob ein Erhebungsinstrument genaue Messungen erzielt und mit einem etablierten Kriterium – einem Referenzstandard – übereinstimmt.
- Reliabilität: Für die Testung eines Screeners wird die Bestimmung der Test-Retest-Reliabilität empfohlen. Sie untersucht die Übereinstimmung der Testergebnisse, wenn ein Erhebungsinstrument mehrmals durchgeführt wird.
- Praktikabilität: Die Praktikabilität ist in der Literatur bisher noch nicht einheitlich beschrieben. Die für die Testung des Screeners verwendete Definition der Praktikabilität bezieht sich auf ethische und ökonomische Aspekte, wie die Belastungen der Klient*innen, Belastungen der Fachkräfte und der apparative Aufwand und die Kosten.
Aktueller Stand
Es wurde bereits eine erste Screenerversion entwickelt, die gegenwärtig an der Hochschule Fulda einer Testung der Inhaltsvalidität und Praktikabilität unterzogen wird.
Die aktuelle Version des Screeners ist in neun Lebensmittelgruppen untergliedert. Sie beinhaltet Fragen zur Quantität und Fragen zur Qualität der Lebensmittel. Die Punktvergabe hängt von der Einordnung der Lebensmittel in den FBDG der DGE e. V. ab. Beispielsweise steigt die Punktzahl der Quantitäts-Items für Lebensmittel, für die ein Mindestverzehr empfohlen wird, bei steigendem Lebensmittelverzehr linear bis zu einem Maximum an (z. B. für ≥ 3 Portionen Gemüse pro Tag). Die neun Lebensmittelgruppen werden abschließend sowohl individuell betrachtet und bewertet als auch zu einem gleichgewichteten Gesamt-Score aggregiert.
Ausblick
In der nächsten Phase soll der mithilfe der Ergebnisse zur Inhaltsvalidität und Praktikabilität weiterentwickelte Screener in einer größer angelegten Studie hinsichtlich seiner Kriteriumsvalidität, relativen Validität und Test-Retest-Reliabilität überprüft werden.
Das Promotionsprojekt von Laura Hoffmann, betreut durch Prof. Dr. Kathrin Kohlenberg-Müller (Hochschule Fulda), Prof. Dr. Sarah Egert (Universität Bonn) und Prof. Dr. Joachim Allgaier (Hochschule Fulda) hat zum Ziel, mit dem neu entwickelten Screener zur Erfassung der Ernährungsqualität basierend auf den nationalen FBDG, einen Beitrag zur qualitätsgesicherten Erhebung der Ernährungsgewohnheiten im Diätetischen Assessment zu leisten.
Weiterführende Literatur und Links
- Burggraf, C.; Teuber, R.; Brosig, S.; Meier, T. (2018): Review of a priori dietary quality indices in relation to their construction criteria. Nutrition reviews 76 (10): 747–764. DOI: 10.1093/nutrit/nuy027.
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) e. V. (Hrsg.) (o. J.): DGE-Ernährungsempfehlungen. Verfügbar unter: https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/dge-ernaehrungsempfehlungen/ (Zugriff am 26.07.2023).
- England, C. Y.; Andrews, R. C.; Jago, R.; Thompson, J. L. (2015): A systematic review of brief dietary questionnaires suitable for clinical use in the prevention and management of obesity, cardiovascular disease and type 2 diabetes. European Journal of Clinical Nutrition 69 (9): 977–1003. DOI: 10.1038/ejcn.2015.6.
- Hoffmann L, Allgaier J, Egert S, Kohlenberg-Müller, K (2023): Abstract 28. Screener zur Erfassung der Ernährungsqualität in der Ernährungsberatung und -therapie – eine systematische Recherche und Analyse. Aktuel Ernahrungsmed (48): E14. DOI: 10.1055/s-00000003.
- Koordinierungskreis zur Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung und Ernährungsbildung (Hrsg.) (2020): Rahmenvereinbarung zur Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung und Ernährungsbildung in Deutschland. Verfügbar unter: https://www.dge.de/qualifizierung/koordinierungskreis/ (Zugriff am 26.07.2023).
- Lövestam, E.; Boström, A.-M.; Orrevall, Y. (2017): Nutrition Care Process Implementation: Experiences in Various Dietetics Environments in Sweden. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics 117 (11): 1738–1748. DOI: 10.1016/j.jand.2017.02.001.
Vadiveloo, M.; Lichtenstein, A. H.; Anderson, C.; Aspry, K.; Foraker, R.; Griggs, S.; Hayman, L. L.; Johnston, E.; Stone, N. J.; Thorndike, A. N. (2020): Rapid Diet Assessment Screening Tools for Cardiovascular Disease Risk Reduction Across Healthcare Settings: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation. Cardiovascular quality and outcomes 13 (9): e000094. DOI: 10.1161/HCQ.0000000000000094.